Kleine unvollständige Geschichte des SSK (geschrieben 2003)
Der SSK besteht in Köln seit 40 Jahren. In dieser Zeit hat sich viel verändert. Verschiedene Gruppen von Menschen haben im SSK gelebt und ihn zu ihrem Projekt gemacht. Die ersten SSKler waren obdachlose Jugendliche, die aus den Heimen abgehauen waren und in Köln auf der Straße lebten. Gemeinsam mit StudentInnen erkämpften sie das Projekt. Später bestimmten Menschen, die aus den Psychiatrien zum SSK geflohen waren, die politischen Kampagnen. Und schließlich kamen Menschen, die aus dem Elend in anderen Ländern geflüchtet waren, zum SSK.
Gegen öffentliche ‚Fürsorge‘:’Wir sagen Nein zu Knast und Heim‘
Ende der 60er Jahre fliehen Jugendliche massenhaft aus den knastartigen Heimen der öffentlichen Fürsorge. In Köln leben mehr als 1000 obdachlose Jugendliche auf der Straße. An der Fachhochschule für Sozialarbeit organisieren Studenten ein Matratzenlager als Notunterkunft für die Jugendlichen. Viele Wohngemeinschaften nehmen gestrandete Jugendliche auf. Die Wohngemeinschaft in der 1.Etage des Salierring 41 wird zur Zuflucht für entflohene ‚Fürsorgezöglinge‘.
1969 entsteht der SSK als ‚Sozialpädagogische Sondermaßnahmen Köln‘. Der Verein soll die Bewegung in geordnete, reformpädagogische Bahnen zu lenken. Aber eine radikale Fraktion macht spektakuläre Aktionen gegen Heime, sägt Gitter auf und verhilft Jugendlichen zur Flucht. Sie setzt durch, dass der SSK 1972 als Kontaktzentrum für Jugendliche anerkannt wird, mit der rechtlichen Sonderposition, dass der SSK nicht verpflichtet ist, entflohene Jugendliche festzuhalten und in die Heime zurückzuverfrachten. Die Jugendlichen sind jedoch weiter von Polizeikontrollen bedroht, und sie bekommen kaum Geld. Mit Go-Ins, einer Bürobesetzung beim Oberbürgermeister und einer Belagerung des Rathauses setzen sie 1973 Tagegelder für die Jugendlichen durch. 40 Plätze sind nach dem städtischen Modell genehmigt. Tatsächlich sind bereits 200 Jugendliche beim SSK, verteilt auf verschiedene Wohngemeinschaften. Im ehemaligen Hotel Astor am Salierring 37 leben mittlerweile 60 Jugendliche. Der Besitzer kassiert von der Stadt riesige Summen für die Belegung. Der SSK fordert, das Astor als zweites Kontaktzentrum anzuerkennen und komplett zu mieten. Aber die Stadt ist empört, dass der SSK sich nicht an die Auflagen hält, die Zahl der aufgenommenen Jugendlichen zu beschränken. Die Entwicklung läuft in Richtung Verbot des SSK.
Die Presse startet eine Hetzkampagne, die Polizei nimmt immer wieder Jugendliche fest und bringt sie in Heime zurück. Eine Straßenschlacht vor dem Astor im August 73, nachdem die Polizei Jugendliche wegen angeblichen Diebstahls festnehmen wollte, heizt die Stimmung weiter an. Trotz breiter Solidarität wird im Februar 74 die Schließung verfügt. Die erwartete Straßenschlacht findet nicht statt, die Räumungstrupps finden leere Häuser vor: der SSK ist vorsorglich in die Fachhochschule für Sozialarbeit umgezogen. Nach mehreren Tagen Asyl in der FH verteilen sich die Jugendlichen auf Wohnungen in der Stadt.
Von der Sozialpädagogik zur Selbsthilfe
Zwei Monate später ist das letzte Geld aufgebraucht. Aber 30 Jugendliche und ein paar StudentInnen geben nicht auf. Sie besorgen sich einen LKW, kleben Plakate, verteilen Handzettel, und bekommen die ersten Aufträge. Aus dem SSK wird 1975 die ‚Sozialistische Selbsthilfe Köln‘. Dies ist ein bewusster Schritt raus aus dem Sozialstaat, aus der Entmündigung und Gängelung, die staatliche Gelder für den Einzelnen und für Projekte bedeuten. Die Jugendlichen werden von ‚Fürsorgezöglingen‘ zu ArbeiterInnen und bekommen ein neues Selbstbewusstsein. Das Verhältnis von SozialarbeiterInnen zu Jugendlichen, von BetreuerInnen zu Betreuten wird umgekrempelt, und der SSK befreit sich als politisches Projekt aus der Abhängigkeit von Politik und Staatsgeldern.
Am Salierring 41 wird ein Laden aufgemacht. In das Hotel Astor zieht die ‚Ambulanz im SSK‘ ein, eine Sprechstunde von solidarischen Ärzten, die Menschen ohne Krankenschein umsonst behandeln. Die Sprechstunden sind lange Zeit die einzige legale Einrichtung des SSK und werden zu einem wichtigen Treffpunkt.
Der SSK bekommt Unterstützung von prominenter Seite. Heinrich Böll und andere gründen 1974 den Verein ‚Helft dem SSK‘. Als der SSK ein Jahr später eine leerstehende Tankstelle in der Liebigstraße in Ehrenfeld besetzt, schenkt Heinrich Böll dem Verein das Haus Overbeckstr. 40, das auf demselben Gelände liegt. In diesem ‚Böll-Haus‘ lebt der SSK-Ehrenfeld bis heute.
Gegen Spekulanten und Stadtsanierer: ‚Hier renoviert der SSK ohne Auftrag der Stadt Köln‘
Die 70er Jahre sind die Zeit von Kahlschlagsanierung und großen Spekulationsgewinnen. 1976 stehen in Köln 32 000 Altbauten leer. Die Versicherungskonzerne Gothaer und Allianz kaufen im Hansaviertel ganze Straßenzüge auf und verwandeln billigen Wohnraum in teure Luxusappartments oder Büros. Bekannte Spekulanten wie Kaußen oder Kaiser vertreiben MieterInnen mit kriminellen Methoden, um die Häuser abreißen zu lassen. Der SSK besetzt verschiedene Häuser und stellt den erhaltenen Wohnraum Menschen mit geringem Einkommen zur Verfügung. Manche Besetzung endet unter Polizeieinsätzen und Baggern (1976 Aachenerstr. 67, 1977 Gladbacherstraße und Werderstraße). Der Protest geht danach mit Aktionen in der Innenstadt oder Zelten auf der Straße weiter. Nachdem die Gothaer leerstehende Häuser zumauert, findet sie ihr Portal zugemauert. Am Salierring wird die ‚Wohnraum-Verteidigungs-Initiative‘ gegründet, später die ‚Wohnraum-Rettungs-Gesellschaft‘. So werden mehr Leute in den Kampf um die Häuser einbezogen.
1979 wird in Mülheim das Fabrikgelände Düsseldorferstr. 74 besetzt. Hier entsteht eine neue SSK-Gruppe. Ende 1985 kommt es zum Zerwürfnis mit dem SSK. Aus dem SSK-Mülheim wird der SSM, der bis heute auf dem Gelände lebt und arbeitet. 1981 werden am Ensener Weg in Porz mehrere Häuser besetzt, für eine weitere SSK-Gruppe und ein Wohnprojekt. Die SSK-Gruppe geht später aus den Gebäuden raus. Das Wohnprojekt PSH (Porzer Selbsthilfe) besteht immer noch.
‚Sanierung macht Angst – Angst macht krank – Sanierung macht krank‘
Der Vorort Pulheim bei Köln ist ein typisches Beispiel für die Flächensanierung der 70er Jahre. 108 Häuser sollen abgerissen, 305 Menschen ‚umgesetzt‘ werden. 1979 gründen Anwohner die ‚Interessengemeinschaft Pulheimer Sanierungsopfer‘ und nehmen Kontakt zum SSK auf. Dieser unterstützt sie mit Aktionen. Ärzte der ‚Ambulanz im SSK‘ weisen in Gutachten nach, dass die Sanierung die Menschen krank und verrückt macht. Was hat es z.B. mit Verfolgungswahn zu tun, wenn eine Frau, die aus ihrem Haus vertrieben werden soll, ihre Tür mit verschiedenen Schlössern verbarrikadiert und niemand mehr reinlässt? Ein Amtsarzt, der die Geschichte nicht kennt, hat solche psychiatrischen Diagnosen schnell gestellt. Aus Sanierungsopfern werden ‚Krankheitsfälle‘ gemacht. Der SSK hat zu diesem Zeitpunkt schon reichhaltig schlechte Erfahrung mit der Psychiatrie angesammelt und kommt zu dem Schluss:
‚Die Verhältnisse sind krank, nicht die Menschen‘
In den 70er Jahren kommen immer mehr Menschen zum SSK, die aus den sogenannten Landeskrankenhäusern, den psychiatrischen Verwahranstalten geflohen sind. Sie berichten von ungeheuerlichen Zuständen hinter den Mauern, von Misshandlungen und Todesfällen. 1977 gründet der SSK das ‚Beschwerdezentrum – Initiative gegen Verbrechen in Landeskrankenhäusern‘. An der Fachhochschule für Sozialarbeit entsteht dazu ein Projekt; StudentInnen beteiligen sich an der Initiative. In allen Klapsen in NRW tauchen nun BesucherInnen auf, die die Zustände unter die Lupe nehmen und öffentlich machen, und Insassen in ihrem Widerstand unterstützen. Aus den Anstalten fliehen Menschen zum SSK, finden neue Lebensmöglichkeiten und werden zu VorkämpferInnen gegen die Psychiatrie. ‚Freiheit heilt‘ heißt es zu dieser Zeit in Italien, in der dortigen starken Anti-Psychiatrie-Bewegung. Im SSK ist dies tägliche Praxis – in der Freiheit und dem Schutz der Gruppe machen viele ‚Verrückte‘ Entwicklungsschritte, die manchen ‚Experten‘ beeindrucken. Wie kann es möglich sein, dass Menschen, die für verrückt und lebensunfähig erklärt wurden, die völlig eingeschüchtert und vollgedröhnt mit Medikamenten beim SSK ankommen, schon nach kürzester Zeit mit dem Megafon vor einem LKH (Landeskrankenhaus) stehen und Reden gegen ihre ehemaligen Unterdrücker halten?
Die ersten großen Psychiatrie-Skandale deckt der SSK in Brauweiler, Düren und Bonn auf. Die Zustände im LKH Brauweiler, wo der Alkoholiker Stockhausen als Klinikchef das Regiment führt, sind so katastrophal, dass die ganze Klinik geschlossen wird. Der SSK bringt weitere Todesfälle in den LKHs Düren und Bonn an die Öffentlichkeit, mit Anzeigen, Demonstrationen und Stationsbesetzungen. Klinikleitungen fliegen aus ihren Sesseln, einzelne Abteilungen werden geschlossen.
Nach dem Brauweiler-Skandal sorgt ein SSK-Flugblatt für Furore und jahrelange Rechtsstreitigkeiten. In dem Flugblatt heißt es:
„Die feinen Herren vom Kennedyufer in Köln haben den Skandal gemacht, um die Katastrophe zu vermeiden. Der Skandal ist, daß Menschen wie Vieh gehalten werden können, mit Dämpfungsmitteln vollgestopft. Wer bei diesem Drogenmißbrauch stirbt, wird sang- und klanglos unter die Erde geschafft. Die Katastrophe wäre, wenn die ganze Wahrheit ans Tageslicht käme. Brauweiler ist nicht ein einzelner Mißstand, denn in keinem LKH ist es anders als dort. Dieser Mißstand hat System. Dabei sterben ständig in den LKHs Menschen auf zwielichtige Art und Weise, aber die „Aufsicht“ des LVR nimmt diese Toten hin.“
Mit den ‚feinen Herren vom Kennedyufer‘ sind die Leiter des LVR gemeint, des Landschaftsverbands Rheinlands, Träger der Anstalten. Die Büros des LVR am Deutzer Kennedyufer sind immer wieder Ziel von SSK-Aktionen und Besetzungen. Der LVR versucht vergeblich, den Text des Flugblattes gerichtlich verbieten zu lassen. Fünf Jahre später, 1983, erklärt das OLG Köln, dass die Äußerungen zulässig sind.
Das Kölner Beschwerdezentrum fährt jede Woche in die LKHs Köln-Merheim, Viersen, Düren und Bedburg-Hau. In vielen anderen Städten werden Beschwerdezentren gegründet. Eine Dokumentation von 1981 listet 18 BZ quer durch die BRD auf. Überall finden sie dieselben Verhältnisse vor: Der Missstand hat System. Durch die Aktionen gerät das Anstaltssystem in die Krise. Die Betreiber sehen sich zu Reformen gezwungen.
Gegen Psychiatrie und Aussonderung: ‚Schafft endlich den Landschaftsverband und seine Anstalten ab!‘
Die BZ ermöglichen es vielen Menschen, sich aus den Klauen der Psychiatrie zu befreien. Sie unterstützen Insassen, die sich gegen Zwangsmaßnahmen und Psychodrogen wehren. In den LKHs kommt es zu Aktionen gegen die Ausbeutung in der sogenannten Arbeitstherapie. Immer wieder geht es um gravierende Menschenrechtsverletzungen. Das Transparent ‚Hier werden immer noch Menschenrechte mit Füßen getreten‘ wird jahrelang durch die verschiedenen LKHs von Aktion zu Aktion geschleppt. Aber eigentlich geht es um mehr.
Träger der Heime und psychiatrischen Einrichtungen ist der LVR, der Landschaftsverband Rheinland. Dieses Überbleibsel der preussischen Provinzialverwaltung entspricht noch nicht einmal den herrschenden schein-demokratischen Regeln. Der SSK prangert immer wieder die fehlende öffentliche Kontrolle dieser Behörde an. Die Parole ‚Schafft endlich den LVR ab!‘ darf unter keinem Flugblatt fehlen. Dies geht noch als Kuriosum durch, und mit der Forderung, die Anstalten abzuschaffen, steht der SSK nicht allein. Auch Reformpsychiater prangern in dieser Zeit die Unmenschlichkeit der Großanstalten an und fordern deren Abschaffung. Aber dass der SSK die Psychiatrie nicht reformieren, sondern als Teil des Unterdrückungsapparates gleich ganz abschaffen will, das stößt auf einiges Unverständnis (siehe dazu: ‚Ob Anstalt oder Wissenschaft, die Psychiatrie gehört abgeschafft‘).
Die Aktionen von SSK und Beschwerdezentren haben die Psychiatriereform entscheidend vorangetrieben. In den Anstalten werden die schlimmsten ‚Missstände‘ beseitigt. Mit den ‚gemeindenahen‘ Einrichtungen soll die Psychiatrie ein freundlicheres Gesicht bekommen. Der Zwang wirkt verstreuter und unsichtbarer: kleine Einrichtungen statt Großanstalten, bunte Pillen statt der hässlichen Fesseln. Auf diese Weise hat die Reform den BZ die Basis genommen. Die Insassen werden differenzierter behandelt und aufgeteilt, renitente Verweigerer in Kleinstheime abgeschoben. ‚Drinnen‘ sind keine kämpferischen Gruppen mehr zu finden, allenfalls noch Einzelpersonen, die sich wehren wollen. Viel Widerstand hatte es immer in den forensischen Abteilungen gegeben. Diese werden aufgelöst und 1986 in einem Hochsicherheitsneubau in Düren konzentriert, wo das BZ keinen Zutritt hat. Es bleibt nur noch eine SSK-typische Aktionsform, um die Ablehnung dieses Psychoknastes zu demonstrieren: eines Morgens fahren dort mehrere SSK-LKW vor und kippen einen großen Müllberg ab.
Den Elendsverwaltern gelingt es zunehmend, den Kontakt zwischen BZ und Insassen zu unterbinden, durch Verlegungen und unzählige Hausverbote. Eine Kampagne gegen Psychopharmaka scheitert an diesen Bedingungen. Ende der 80er Jahre sieht das BZ kaum noch Handlungsmöglichkeiten und löst sich auf.
Der SSK sieht die neue Gemeindepsychiatrie nicht als erkämpfte Verbesserung, sonder in erster Linie als Gefahr. Die Psychiatrie dringt noch weiter in die Gesellschaft vor. Die Tendenz, gesellschaftliche Probleme mit Psychiatrie anzugehen und mit Psychodrogen ruhig zu stellen, nimmt dadurch zu. Der heutige Verbrauch an Psychopharmaka, z.B. der massenhafte Einsatz von Dämpfungsmitteln an Schulen, übersteigt noch bei weitem die damaligen Befürchtungen.
Gegen Atommafia und Umweltzerstörung: ‚Kompost stinkt nicht‘
Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 ist ein weltweiter Schock und setzt das Thema Umweltzerstörung auf die Tagesordnung. Der SSK hat gerade die unschöne Trennung in SSK und SSM hinter sich. Die Stimmung ist gedrückt, der GAU schlägt in diese Kerbe: Was soll das alles noch, wofür sollen wir noch Häuser besetzen und gegen die Sanierung kämpfen, es geht alles den Bach runter, wir können den Wahnsinn der Atommafia nicht stoppen.
Im Januar 87 bietet sich in Köln eine Aktionsmöglichkeit gegen den Profit mit der Katastrophe. Es wird bekannt, dass in Köln-Niehl ein Güterzug mit 50 Waggons voll von radioaktiv verseuchtem Molkepulver steht. Dieser radioaktive Müll soll in die Dritte Welt verschachert und dort wieder als Lebensmittel verwendet werden. Der SSK stellt fest, dass die Waggons ohne Bewachung rumstehen. Weitertransport und -verwertung der Molke gilt es zu verhindern. SSKlerInnen besetzen den Zug, es gelingt ihnen, die Hälfte der Waggons aufzubrechen und die Molke mit Altöl unbrauchbar zu machen.
Danach beginnt die ‚Ökophase‘ des SSK. Auf der Ratssitzung, dem wöchentlichen Treffen aller SSK-Gruppen mit 50-60 TeilnehmerInnen, wird die Idee ausgebrütet, im SSK Kompost herzustellen. In Ehrenfeld wird ein alter Tanklaster aufs Gelände geschleppt und zum Kompost-Tank umgebaut. Am Salierring findet die Kompostierung im Keller statt. Hieraus soll eine neue Einnahmequelle entstehen. Die SSKlerInnen sind von ihrer Mülltrennung und dem Kompost überzeugt und behaupten hartnäckig, dass Kompost nicht stinkt…
Es kommt zu Verhandlungen mit der Stadt: wenn der SSK für die Kompostierung einen Teil des Biomülls in der Stadt abholt, stehen ihm auch die entsprechenden Müllgebühren zu . Aber die Angebote der Stadt sind schlecht. Die Ehrenfelder Gruppe geht darauf nicht ein, sondern kompostiert nur Bioabfälle, die die Leute aus dem Viertel selbst in Eimerchen aufs Gelände bringen. Der Salierring macht Verträge mit der Stadt und entsorgt eine Zeit lang den Biomüll im Viertel – bis die Fliegen- und Geruchsbelästigung durch den Komposthaufen im Keller unerträglich und das Projekt gestoppt wird. Eine neue Gruppe auf dem Land im Oberbergischen kompostiert in großem Stil, bis heute.
Ende der 80er Jahre plant die Stadt Köln ein neues Großprojekt, das nicht der Müllvermeidung, sondern dem Profit mit Müll dient: die Müllverbrennungsanlage MVA (nebenbei auch ein hervorragendes Geschäft für korrupte Politiker). Der SSK gehört zu den Gruppen, die gegen den Müllofen demonstrieren, ihn aber nicht verhindern können. Die Forderung nach Recyclinghöfen lässt sich nicht durchsetzen.
Neuanfang in Ehrenfeld
Nach zwei Bränden im Lager des SSK-Ehrenfeld und mehreren kleinen Bränden auf dem Gelände brennt im August 1989 das Böll-Haus. Zwei Männer und ein Kind sterben. Erst viel später kommt raus, dass eine ehemalige Bewohnerin den Brand gelegt hat, die aus der Klapse zum SSK gekommen und nach gruppeninternem Streit rausgeflogen war. Diese Katastrophe bedeutet fast das Ende der Ehrenfelder Gruppe. Der Aufbau des zerstörten Hauses dauert drei Jahre. In dieser schwierigen Situation verlassen viele die Gruppe – aber der SSK erfährt auch eine beeindruckende Solidarität. Für den Wiederaufbau des Böll-Hauses kommen 100 000 Mark an Spenden zusammen. Da lange Zeit nicht klar ist, wer den Brand gelegt hat, organisieren verschiedeneGruppen und Personen ein halbes Jahr lang Nachtwachen im SSK. NachbarInnen kommen vorbei und bieten ihre Hilfe an. Die autonome Szene, die vorher wenig Kontakt zum SSK hatte, bildet Brigaden, die das Haus entschutten und beim Wiederaufbau mit anpacken. Aus Berlin kommt eine Gruppe von Jugendlichen aus einem Bauprojekt, die fachmännisch Mauern hochziehen. Internationale SCI-Workcamps kommen zu Hilfe, und es entsteht ein Austausch mit arbeitslosen Jugendlichen aus England. Mit all dieser Unterstützung gelingt es, das Böll-Haus wieder bewohnbar zu machen und zur üblichen SSK-Arbeit zurückzukehren. Eine Wohngemeinschaft, die in dieser Zeit viel geholfen hat, zieht danach in den SSK. Durch das Ende des Beschwerdezentrums und den Brand hat sich die Gruppenzusammensetzung verändert. Viele von den ‚Alten‘, die von der Straße oder aus der Klapse zum SSK gekommen sind, sind gegangen. Die ‚Neuen‘ haben fast alle mal studiert.
Gegen staatlichen Rassismus und Ausschluss: ‚Grenzen auf, die Welt gehört uns allen‘
Seit Mitte der 80er Jahre drängt sich ein neues Thema auf. Mit der Kampagne gegen die ‚Asylantenflut‘ wird von staatlicher Seite aus der Rassismus geschürt und die Abschaffung des Asylrechts vorbereitet. 1987 unterstützt der SSK Gruppen von Roma und von Sikhs, die gegen ihre Abschiebung kämpfen, mit Bürobesetzungen und Aktionen vor Ausländerämtern, Abschiebeknästen und dem Landtag in Düsseldorf. Die Lebenssituation der Roma in Köln und drohende Abschiebungen sind immer wieder und bis heute Anlass für gemeinsame Aktionen. 1992 eröffnet das Land NRW acht Abschiebeknäste, und die Stadt Köln das Sammellager in Köln-Niehl. Hier wehren sich Flüchtlinge mit einem Hungerstreik und Aktionen gegen die miserablen Zustände und werden dabei vom ‚Plenum gegen Sammellager‘ unterstützt. 1993 wird die Sozialhilfe für Asylbewerber gekürzt (‚Asylbewerberleistungsgesetz‘) und teilweise nur noch in Sachmitteln ausgegeben. Die Stadt Köln versucht, die Versorgung in Kölner Flüchtlingsheimen über Fresspakete zu regeln. Nach einer Kampagne gegen die ‚Zwangsverpflegung‘ 1994 nimmt sie die Verschärfung zurück.
Der SSK wird für einige MigrantInnen zu einem Zufluchtsort und beteiligt sich an den verschiedenen antirassistischen Initiativen und Kampagnen in Köln – immer wieder gegen Abschiebungen, gegen die Unterbringung in Schiffen und Lagern, gegen rassistische Kontrollen am Bahnhof.
Auf der Suche nach der neuen Bewegung
Der SSK hat heute kein eigenes politisches Projekt mehr, wie es vorher mit der Heimkampagne, dem Beschwerdezentrum oder dem Kampf gegen die Sanierung der Fall war. Wir sind mit vielen anderen auf der Suche nach den Punkten, wo wieder eine wirkliche soziale Bewegung losgehen könnte, und mischen derweil überall da mit, wo sich wenigstens ein bisschen was bewegt.
In den 90ern waren das neben den Aktionen mit den Flüchtlingen zum Beispiel: die Aktionen der Obdachlosen gegen ihre Vertreibung aus der Innenstadt und aus der Öffentlichkeit (‚Wem gehört die Stadt‘), die Aktionen des Bauwagenplatzes (‚Wem gehört die Welt‘), die ‚Montagsdemos gegen Sozialabbau‘, verschiedene Besetzungen für ein Autonomes Zentrum, Antifa-Aktionen, Proteste gegen den Krieg…
Die verschiedenen Phasen des SSK sind nicht geplant worden. Zum SSK kamen und kommen Menschen, die mit ihren Problemen alleine nicht klarkommen. Im SSK finden sie keine Betreuung, sondern gegenseitige Unterstützung. Gemeinsam wird nach Lösungswegen gesucht – und nach Wegen, eine Lösung durchzusetzen. Oft sind das Aktionen auf Ämtern, oder öffentliche Kampagnen gegen die Ursachen des Problems. Denn darum ging es immer: die Probleme der Menschen nicht als Einzelfälle anzusehen und anzugehen, sondern im Einzelfall das Allgemeine zum Thema zu machen. Die politischen Kampagnen ergaben sich aus jeweils aktuellen Problemen – und je nachdem, wer zur Tür reinkam, welche Gruppe von Menschen zum SSK kam. Flüchtlinge aus Heimen, aus Klapsen, aus anderen Ländern… eine Prognose darüber, wo und mit wem wir als nächstes anpacken, ist schwer möglich.
Es gibt aber ein paar Prinzipien, die sich durch alle Phasen ziehen. Aus der Kritik an der staatlichen Fürsorge in der Anfangszeit entwickelte sich bald eine allgemeinere Kritik der Sozialarbeit. Die Betreuer der Jugendlichen wollten keine mehr sein und wurden ebenfalls zu SSKlern. Aus der Mischung von Menschen, die von der Straße kamen, von Staats wegen zu Ausschuss erklärt waren und nicht mitspielen sollten, und anderen, die von der Uni kamen, und nicht wie vorgesehen mitspielen wollten, entstand eine beeindruckende Kraft. Bei vielen Bürokraten war der SSK wegen seiner Frechheit und Hartnäckigkeit gefürchtet. Heute haben wir nicht mehr diese Präsenz. Aber wir bewahren uns weiterhin unsere Unabhängigkeit – indem wir lieber auf staatliche Gelder verzichten, als uns davon abhängig machen zu lassen. Wir versuchen weiterhin, unser Leben gleichberechtigt und gemeinschaftlich zu organisieren – trotz aller Unterschiedlichkeiten. Und wir setzen auf Selbsthilfe und Selbsttätigkeit, in allen Bereichen – denn eine andere Gesellschaft werden wir nur erreichen, wenn wir unser Leben selbst in die Hand nehmen, wenn wir uns nicht mehr von Vertretern und Funktionären sagen lassen, was wir tun sollen, und die Politik nicht mehr Politikern überlassen.
… denn die Häuser gehören uns?
Fast alle SSK-Gruppen sind durch Besetzungen entstanden. Wenn es in einem Haus zu eng wurde, weil mehr Leute auftauchten, wurde das nächste Gelände besetzt: Salierring – Ehrenfeld – Bensberg – Gummersbach – Mülheim – Porz… Anfang der 80er Jahre lebten in sechs Kölner SSK-Gruppen mehr als 120 Leute. Weitere Gruppen gab es in Düsseldorf, Wuppertal, Dortmund und Bielefeld. Neben den Häusern für die eigenen Leute besetzte der SSK auch andere Häuser, um sie vor Luxussanierung oder Abriss zu retten und als billigen Wohnraum zu erhalten. Dazu kamen später die autonomen Hausbesetzungen. 1986 gab es in Köln 27 besetzte Häuser. ‚Wir brauchen keine Hausbesitzer, denn die Häuser gehören uns‘ war eine derzeit beliebte Hymne.
Davon ist heute wenig übriggeblieben, und unsere ersten Häuser sind bedroht. In dieser Situation versuchen wir, die Häuser am Salierring zu kaufen, um sie für den SSK zu erhalten. Das ist keine neue Strategie, sondern eine Notlösung, ermöglicht durch eine Erbschaft. Besetzen hat mehr Spaß gemacht. Die Zeiten haben sich geändert… aber sie werden nicht so bleiben.
(Stand 2003)
Ergänzung
2004 hat unser Förderverein das erste und 2007 dann das zweite der vom SSK seit Jahrzehnten bewohnten und genutzten Häuser am Salierring gekauft. Möglich wurde das durch eine Erbschaft, Spenden, viele Privatkredite von Freund*innen und Förder*innen und einen Bankkredit. Die Unterstützung war und ist bis heute überwältigend.